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Warum Frauen und Mädchen flüchten: familiäre Gewalt, Vergewaltigungen, Zwangsverheiratungen und genitale Verstümmelungen als frauenspezifische Fluchtursachen
Präventiv müssen endlich Fluchtursachen analysiert und entsprechend in der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik bekämpft werden. Vor allem muss einer zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung der Vorzug vor dem Militärprimat gegeben werden. Eine Analyse frauenspezifischer Fluchtursachen ist nicht nur dringend nötig, sondern maßgeblich für eine friedensfördernde Ausrichtung der Entwicklungs- und Außenpolitik. Es muss endlich erkannt und bekämpft werden, dass der größte Teil aller fliehenden Frauen und Mädchen auf ihrer Flucht erneut sexualisierte Gewalt erlebt. Der Alarm der UN, die Menschen in den Flüchtlingslagern rund um Syrien nicht mehr versorgen zu können, weil die Weltgemeinschaft ihrer Finanzierung nicht nachkommt, verhallte ungehört. Eine Konsequenz ist, dass Mädchen nun immer früher von ihren Familien zum vermeintlichen Schutz zwangsverheiratet werden.
Unerträglich ist, dass sich diese Gewalt gegen Frauen auch in Deutschland fortsetzt. In den völlig überfüllten Flüchtlingsunterkünften sind die oft bereits vielfach traumatisierten Frauen und Mädchen weiterer Gewalt ausgesetzt: sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution. Unbegleitete minderjährige Mädchen brauchen eigene geschützte Räume mit qualifizierter Betreuung. Aufgrund der Residenzpflicht und Wohnsitzauflagen haben die Frauen noch dazu kaum Möglichkeiten, der Gewalt auszuweichen. Gleichzeitig sind die wenigen qualifizierten Beratungseinrichtungen völlig überlastet; in den letzten Jahren wurden sogar noch Ressourcen gekürzt!
„Sichere Herkunftsländer“ als abschreckende Symbolpolitik?
Ich halte es für absolut ignorant, wie abfällig europäische Politiker von Wirtschaftsflüchtlingen aus dem Balkan sprechen. 2003 hat die europäische Wertegemeinschaft in ihrer Abschlusserklärung der EU-Konferenz in Thessaloniki erklärt: „Die EU bekräftigt, dass sie die europäische Ausrichtung der westlichen Balkanstaaten vorbehaltlos unterstützt. Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der europäischen Union.“ Damit war der Weg zur Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Toleranz den Religionen gegenüber gemeint; selbstverständlich in Verbindung mit Wirtschaftshilfe. Diese Versprechen und diese Vision wurden völlig vergessen! Diese Länder als sichere Herkunftsländer zu bezeichnen, ist reine Symbolpolitik und wird die Menschen nicht von der Suche nach einer echten Lebensperspektive abhalten! Ein „Marshallplan“ für die gesamte Region würde die Menschen in ihrer Heimat in Arbeit bringen und sie auch darin unterstützen, ihre Kriegstraumata bewältigen zu können.
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Monika Hauser, medicale mondiale e. V. (Kommentar vom 25. September 2015)
Kommentar Monika Hauser: Flüchtlinge in Deutschland – Chance und Verantwortung